Franziskanischer Weg durch Augsburg

Fast acht Jahrhunderte Stadtgeschichte und Glaubensgeschichte durchquert man, wenn man den Spuren der Franziskaner in Augsburg nachgeht, von wo aus sich 1221 die franziskanische Bewegung in ganz Deutschland verbreitete.

Wollte man alle Kirchen mit franziskanischen Patronen in Augsburg anschauen, dürfte selbst bei präziser Planung ein Tag kaum reichen. Die meisten der im 20. Jahrhundert in den Außenvierteln erbauten Pfarrkirchen wissen sich nämlich – Absicht oder Zufall? – der franziskanischen Tradition verpflichtet: St. Anton im Thelottviertel, St. Elisabeth in Lechhausen, St. Franziskus in der Firnhaberau, St. Konrad (von Parzham) im Bärenkeller. Nach St. Konrad sollte in den 1930er Jahren das Kapuzinerkloster St. Sebastian umsiedeln. Kirche und Kloster mitten im MAN-Gelände passten nicht ins Stadtbild, doch die Absichten der NS-Machthaber wurden durchkreuzt.

Neuerdings haben auch Schulen den hl. Franziskus als Namenspatron erwählt: aus der Katholischen Freien Volksschule ist die Franz von Assisi-Schule in Haunstetten geworden. In Gersthofen gibt es eine Franziskusschule zur individuellen Lernförderung. Für Maria Stern in Göggingen setzte sich der Name der Kirchenpatronin St. Klara seinerzeit nicht durch.

Barf__erkirche1_a

Anfänge der franziskanischen Bewegung in Augsburg

Noch zu Lebzeiten des hl. Franz von Assisi kamen 1221 die ersten Franziskaner nach Augsburg. Am Rande der Stadt, in den ärmeren Handwerkervierteln, fanden die Barfüßer, wie sie vom Volk genannt wurden, schnell Zulauf und übernahmen seelsorgliche Aufgaben. Charismatische Brüder wie der Mystiker David von Augsburg förderten Literatur und Musik. Aus der Feder der Barfüßer stammen auch die frühesten Sammlungen von Rechtssätzen, Deutschenspiegel sowie Schwabenspiegel (1275) genannt, und wohl auch das Augsburger Stadtrechtsbuch von 1276. Von hier aus verbreitete sich die Armutsbewegung in ganz Deutschland.

Am Fuße des Perlachberges, unmittelbar am inneren Stadttor, errichteten die Barfüßer Kirche und Kloster. Heute steht noch der hochgotische Chor der Kirche, der nach einem Brand 1398 erneuert worden war. Bis zur Reformation besuchten die Schwestern von Maria Stern in der Barfüßerkirche die hl. Messe; hier fanden annähernd 200 Schwestern ihre letzte Ruhe. Von den Barfüßern betreut, übernahmen sie erbauliche Literatur und die Pflege der Musik. Man nimmt an, dass David von Augsburg eigens Unterweisungen für die Schwestern verfasst hat.

Mit der Reformation wird das „Kloster zu den Barfüßern“ zum Zentrum der Zwinglianer in Augsburg. Nach der Vertreibung der letzten Franziskaner aus ihrem Kloster und der Barfüßerkirche fiel diese 1535 den Lutheranern zu. Das Kloster der Barfüßer wurde 1538 abgebrochen; wenige Jahre später entstand an gleicher Stelle mit Hilfe von Stiftungsgeldern die Jakobspfründe, eine städtische Einrichtung für alte und pflegebedürftige Bürger, deren Bleibe bis dahin in der Jakober-Vorstadt gewesen war. Noch heute gehört das „Paritätische St. Jakobsstift“ zu den städtischen Altenheimen.

Von der Barfüßerkirche blieb nach dem letzten Krieg der mächtige Chor – bewusst als Restkirche, „Architektur der Buße“ – stehen, während das Langhaus nach der Zerstörung 1944 nicht wieder aufgebaut wurde. Der Chor ist so lang wie hoch und gilt als der älteste Teil dieser mit 2000 Sitzplätzen einst größten evangelischen Kirche der Stadt. Vom Krieg verschont blieb der Kreuzgang aus dem 15. Jahrhundert.
Besonders kostbare Stücke der Inneneinrichtung sind der Kruzifixus im Altarraum und das berühmte Barfüßer-Christkind als Bekrönung des Schalldeckels einer neuerstellten Kanzel, beide von Augsburgs bedeutendem Barock-Bildhauer Georg Petel 1631 und 1632 geschaffen. Ferner schließt ein prächtiges schmiedeeisernes Ziergitter von Johann Samuel Birkenfeld aus dem Jahr 1758/60 den Altarraum ab.

In vielen Konzerten bewährt: die 1958 errichtete Orgel, auf deren Vorgängerin, einer Stein-Orgel, schon Wolfgang Amadeus Mozart und Albert Schweitzer gespielt hatten. Das wohl bekannteste „Pfarrkind“ der Barfüßerkirche war Bert Brecht, der hier getauft und konfirmiert wurde

20211004_121721__2__a

Ausbreitung der franziskanischen Bewegung in Augsburg

Das Kloster Maria Stern verkörpert nicht weniger als die im 2. Weltkrieg schwer beschädigte Barfüßerkirche das Fortleben franziskanischen Geistes in der Augsburger Innenstadt. Ohne die Predigt und Seelsorge der 1221 in Augsburg angesiedelten Minderbrüder hätten sich im „Haus zum Stern“ fromme Frauen entweder nicht auf Dauer zusammen gefunden oder einer anderen geistlichen Bewegung zugewandt.

In unmittelbarer Nähe von Kirche und Kloster der Barfüßer stellte sich die Sammung „Zum Stern“ unter deren geistliche Leitung und wurde 1315 der Straßburger Franziskanerprovinz eingegliedert. In den ersten Jahrhunderten seines Bestehens benötigte das Sternkloster keine eigene Kirche und Grablege, stand ihm doch beides bei den Brüdern offen.

Dies änderte sich in der Reformation. Die Abkehr von der mittelalterlichen Kirchenordnung und die Hinwendung zur Kirchenreform vollzogen sich in der Barfüßerkirche am deutlichsten, noch verschärft durch den Streit zwischen Lutheranern und Zwinglianern. Lutherische Prediger schickte der Stadtrat auch den Sternfrauen ins Haus, diese standen jedoch treu zur Kirche und verwahrten sich gegen die neue Lehre – wie es heißt, mit Wachs in den Ohren.

Da trat 1562 die junge Anna Krölin, vom Kloster als 2. Gründerin bezeichnet, aus dem Haus der Peutinger in Erscheinung. Sie ließ durch den Protestanten Johannes Holl die Sternkirche erbauen. Die gotische Hallenkirche mit 2 Säulen, kleiner als heute, wurde 1576 fertig gestellt und den hl. Anna und Elisabeth geweiht. Als ihr unverwechselbares Kennzeichen ragt bis heute das schlanke fünfgeschossige Türmchen mit „welscher Haube“ auf. Es verbindet gotische und Renaissance-Elemente und wird Jonas Holl zugeschrieben. 1685/86 wurde der Kirchenraum durch die Johannes-Nepomuk-Kapelle und den darüber liegenden Nonnenchor erweitert. Vor der Empore ist ein spätgotischer Kruzifixus mit einer barocken Schmerzensmutter vereint. Als viele Augsburger Kirchen zu Beginn des 18. Jahrhunderts im Stil des Rokoko umgestaltet wurden, beauftragte das Sternkloster den bekannten Akademie-Direktor Johann Georg Bergmüller mit der Ausmalung. Das Altarblatt mit der hl. Elisabeth, die das Christkind auf der Weltkugel verehrt, daneben Maria als Immaculata und die hl. Anna, zählte Paul von Stetten (1788) zu den schönsten Arbeiten. Die barocken Skulpturen der hll. Antonius und Bonaventura und die Kanzel schuf der Bildhauer Ehrgott Bernhard Bendel. Von ihm sind auch die Steinfiguren des hl. Joseph und der Maria Immaculata in den Nischen am Außenbau des Klosters.

Wie die Barfüßerkirche wurde auch das Sternkloster in der Bombennacht im Februar 1944 zerstört, die Sternkirche konnte vor dem Schlimmsten gerettet werden. Der bekannte Kirchenmaler Karl Manninger erneuerte und ergänzte 1959/60 und verschiedentlich noch später die Fresken (Marienleben, Eucharistie, Leben des hl. Franziskus) und malte das steingerahmte Gemälde an der Fassade neu; es zeigt die Anbetung der Könige (,‚Als sie den Stern sahen...“).
Seit 1937 wird tagsüber in der Sternkirche Eucharistische Anbetung gehalten.

St

Zwei andere Terziarinnen-Klöster, St. Klara an der Horbruck (heute: Am Schmidberg 17), 1263 gegründet, und St. Martin am alten Kesselmarkt (heute: Kesselmarkt 3), seit 1279 nachweisbar, wurden 1533 aufgehoben. Auch sie waren aus einer religiösen Bewegung hervorgegangen, die die Nachfolge Jesu zum Ziel hatte. Zunächst ohne Regel und formelle Gelübde hatten sich die Frauen zu einem gemeinschaftlichen Leben zusammengeschlossen. Mit dem Konzil von Vienne 1315 wurden die weiblichen Gemeinschaften verboten, weshalb diese die Regel der Franziskaner-Terziaren annahmen und sich unter die geistliche Leitung der Barfüßer stellten. Später nützten sie wie die Schwestern von Maria Stern eigene Gebetsräume in der Barfüßerkirche. Von ihren Klöstern ist heute nichts mehr zu sehen.

Kapuzinergasse1_a

St

Franziskanische Bewegung im Barock

Nahe St. Ulrich und Afra zeigt man bei Stadtführungen in der Kapuzinergasse gern das bemalte Kathanhaus aus dem 17. Jahrhundert und das ehemalige Wohnhaus von Elias Holl.
Das Kapuzinerkloster (1601) lag auf dem Grundstück zwischen Konrad-Adenauer-Allee und Maximilianstraße, das seit 1890 der Hasenbrauerei gehörte und jetzt mit einer wegen ihrer Dichte umstrittenen Wohnanlage bebaut wird. Vom Kloster ist leider nichts mehr zu sehen, nur das Straßenschild erinnert an die einstigen Bewohner.

Die Ansiedlung der Kapuziner ging auf eine Initiative der Familie Fugger zurück und blieb die einzige franziskanische Niederlassung in der Oberen Stadt. Den Fuggerschen Stiftern war zur Zeit der Gegenreformation v. a. am Wirken von P. Ludwig von Einsiedel gelegen, an den heute noch ein Wandgemälde in der Kirche St. Sebastian erinnert. Die Kirche, die die Kapuziner 1602 an der Gögginger Mauer errichteten, wurde den hll. Franziskus und Gualfardus geweiht. Die Brüder kümmerten sich von dort aus auch um Pestkranke. Nach der Säkularisation wurde ihr Kloster 1809 verkauft, das Gelände ab 1815 als Bierkeller genützt. Bei ihrem Wiederaufleben 1843 zogen die Kapuziner bei St. Sebastian ein.

Als Pendant zur Kapuzinergasse kann die Franziskanergasse bei der Pfarrkirche St. Max in der Jakober-Vorstadt gelten. Die Franziskaner-Observanten, die der Bischof zuvor schon als Domprediger holte und die auch in Dasing eine Niederlassung hatten, bauten 1609-1613 an der heutigen Franziskanergasse ein Kloster und eine Hl.-Grab-Kirche und entfalteten bis zur Auflösung des Klosters 1808 eine höchst vielseitige seelsorgerische und volksbildnerische Tätigkeit.

Da die Barfüßerkirche als katholisches Zentrum in der Reformationszeit verloren gegangen war, hatten die aus dem Hinterland zugezogenen Gläubigen in diesem Viertel wieder eine katholische Kirche verlangt. Hierfür schenkten die Grafen Fugger 1608 den Baugrund. Die 1613 geweihte Kirche wurde u.a. ein Pilgerziel der Lechflößer. Auch die Franziskaner wirkten als Seelsorger in den Blatternhäusern.
Nach der Säkularisation wurde das Kloster aufgelöst und die Kirche bereits 1810 (wieder) Pfarrkirche, musste dem späteren bayerischen König zu Ehren aber in St. Maximilian umbenannt werden. Das Königshaus stiftete ein italienisches Altarbild, die Franziskus-Statue wurde entfernt. 1944 bis auf wenige Außenmauern vollständig zerstört, wurde die Kirche von Dominikus Böhm wieder aufgebaut und von Franz Nagel mit Fresken an der Decke und der Apsis versehen. Im Seitenschiff haben sich noch das alte Hochaltarblatt mit den Heiligen des Franziskanerordens von Johann Rottenhammer (1614) und ein hl. Sebastian, vielleicht von Georg Petel, von 1643 erhalten.

St

Franziskanisches Zentrum

Schon im 16. Jh. befanden sich auf dem Gelände von Kloster und Kirche St. Sebastian (es gab 3 Vorläuferkirchen, darunter eine von Elias Holl) Siechenhäuser, ein Pestspital und ein Pestfriedhof. Sowohl die Kapuziner aus der Oberen Stadt wie die Franziskaner des Hl. Grab-Klosters (heute St. Maximilian) waren vom Beginn des 17. Jahrhunderts bis zur Säkularisation dort schon als Seelsorger tätig.

Als die Kapuziner 1843 nach Augsburg zurückkehren konnten, bezogen sie das ehemalige Mesnerhaus bei St. Sebastian, in dem für maximal 12 Patres und Brüder Platz war. Sie hatten in der beginnenden Industrialisierung als Arbeiterseelsorger so großen Zulauf, dass 1906 das Kloster vergrößert und ein Neubau der Kirche geplant werden musste.

Für die Innenausstattung waren die Künstler Josef Guntermann, Leonhard Thoma und S. Wirsching tätig. Im Chorraum ist unter Christus in der Mandorla die Legende des hl. Sebastian dargestellt, der Chorbogen zeigt Motive aus der Geheimen Offenbarung; auf den Hochwänden des Mittelschiffs ist monumental der Kreuzweg dargestellt. Bewegung kommt in den Kirchenraum v. a. durch die reich ornamentierten Säulen ("lebendige Steine“) und die grün-rotbraune Farbgebung.
Die Kapuzinerkirche St. Sebastian, von Gebäuden der MAN umgeben, gehört mit ihrer neuromanisch-byzantinischen Aura zu einer ganz anderen Kirchengeneration als die hochgotischen Räume der Barfüßer- und der Sternkirche. St. Sebastian wurde Anfang des vorigen Jahrhunderts vom Münchner Architekten Hans Benedikt Schurr geplant, etwa zur gleichen Zeit wie die berühmte Jugendstilkirche Herz Jesu in Pfersee. Deren Erbauer Michael Kurz hatte bei Schurr sein Handwerk gelernt.
Soweit möglich standen die Kapuziner des Franziskanischen Zentrums St. Sebastian, das sich in den letzten Jahrzehnten zu einer „geistlichen Heimat für alle Konfessionen“ entwickelt hatte, den Schwestern von Maria Stern als Seelsorger zur Verfügung. 2008 wurde die Niederlassung der Kapuziner (bzw. das Franziskanische Zentrum) geschlossen. Die Kirche St. Sebastian gehört zur Pfarrei St. Georg und wird von dort aus betreut.

Im Umkreis des Franziskusfestes oder von Jubiläen kommt es immer wieder auch zu ökumenischen Initiativen und Gottesdiensten zusammen mit den Barfüßer-Pfarrern und ihrer Gemeinde.

(Text: Sr. M. Beda Rauch)